Karsten König
Macht und Verständigung in der externen Hochschulsteuerung
Verhandlungsmodi in Zielvereinbarungen zwischen Staat und Hochschule
Rezension, aus:
zeitschrift für hochschulrecht, hochschulmanagement und hochschulpolitik (zfhr), 6/2021, S. 206-208,
Mit Beginn des Jahres 2022 treten die österreichischen öffentlichen Universitäten in die inzwischen sechste Periode der durch das Universitätsgesetz 2002 – UG, BGBl I 2002/120 idF BGBl I 2021/177, eingeführten Leistungsvereinbarungen ein, die seit 2007 zwischen dem zuständigen Bundesministerium und den einzelnen Universitäten für jeweils drei Jahre abgeschlossen werden und das zentrale Steuerungsinstrument der österreichischen Hochschulgovernance in Bezug auf die autonomen Universitäten darstellen. Gemäß ihrer Rechtsgrundlage in § 13 UG sind sie als öffentlich-rechtliche Verträge ausgestaltet, die einerseits die von den Universitäten zu erbringenden Leistungen in den verschiedensten Bereichen (wie etwa strategische Ziele, Profilbildung, Forschung, Studien und Weiterbildung, Verbesserung der Betreuungsrelationen, gesellschaftliche Zielsetzungen etc) als auch die Leistungsverpflichtung des Bundes, die im Wesentlichen in der Zuteilung des Globalbudgets besteht, festlegen. Dem Abschluss der Leistungsvereinbarungen für die Periode 2022 bis 2024 gingen intensive Verhandlungen voraus. Solche stehen auch für einen Teil der deutschen Bundesländer in näherer Zukunft wieder an.
Es sind gerade diese Verhandlungsprozesse zwischen der staatlichen Seite in Gestalt von VertreterInnen der zuständigen Ministerien einerseits und VertreterInnen der Hochschulleitungen andererseits, die der Hochschulforscher Karsten König in den Fokus seiner tiefschürfenden Analyse der Verhandlungsmodi in Zielvereinbarungen zwischen Staat und Hochschule in Deutschland stellt. Dabei ist aus österreichischer Sicht semantisch anzumerken, dass die deutschen Zielvereinbarungen den österreichischen Leistungsvereinbarungen funktional äquivalent sind. Als mehrjähriger Mitarbeiter am Institut für Hochschulforschung (HoF) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat er die Einführung und Etablierung der Vereinbarungen zwischen Staat und Hochschule in Deutschland seit 2002 in seiner Forschung begleitet und legt mit dem hier zu besprechenden Werk nun als Dozent für Empirische Sozialforschung seine im Jahr 2019 an der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Dresden präsentierte Dissertation in aktualisierter Fassung vor. Der als Teil der Reihe „Hochschulwesen – Wissenschaft und Praxis“ im UniversitätsVerlagWebler Bielefeld erschienene Band umfasst 207 Seiten samt Quellenverzeichnis und umfassendem Anhang, der neben dem Leitfragebogen für die den Kern der Untersuchung bildenden Interviews mit AkteurInnen der Vertragsverhandlungen auch Ankerbeispiele für die strukturierende Inhaltsanalyse sowie ein hilfreiches Verzeichnis von Webseiten zur leichteren Auffindung von Vereinbarungen auf Länderebene enthält.
Ziel des Bandes ist es, „eine soziologische Analyse der Verhandlungen zwischen Staat und Hochschule in Bezug auf die in der Verwaltungsforschung bereits entwickelten Verhandlungsmodelle“ (S 7) vorzunehmen und dadurch zur Weiterentwicklung dieser Instrumente beizutragen. Der Autor zeigt sich überzeugt, dass diese auch in absehbarer Zukunft zum „Standard der Hochschulpolitik“ gehören würden (S 7). Die Studie gliedert sich in sieben Kapitel: Nach einer Einführung in die Themenstellung (Kapitel 1) wird zunächst der wissenschaftliche Diskurs zur Hochschulsteuerung rekonstruiert (Kapitel 2) und durch die Theorie des Kooperativen Staates nach Arthur Benz ergänzt (Kapitel 3). Vor diesem theoretischen Hintergrund wird in der Folge das methodische Konzept der Arbeit offengelegt (Kapitel 4), das dem gewählten Forschungsansatz einer qualitativen Studie entsprechend im Wesentlichen das problemzentrierte Interview und die daran anschließende strukturierte Textanalyse umfasst. Kernstück der Studie bildet die Ableitung der Ergebnisse aus den Befragungen von AkteurInnen der Verhandlungen in zehn Bundesländern, die der Autor in der Anfangsphase der Leistungsvereinbarungen in Deutschland, zwischen Sommer 2004 und 2005, persönlich führen und bislang nur unzureichend auswerten konnte. Anzumerken ist, dass nur Universitäten und keine Fachhochschulen berücksichtigt wurden (Kapitel 5). Schließlich werden die Ergebnisse aus der Analyse der Verhandlungen zusammengefasst und Handlungsempfehlungen entwickelt (Kapitel 6). Zur Abrundung werden die Ergebnisse nochmals theoretisch eingeordnet und weitere Forschungsfragen skizziert (Kapitel 7).
Die zentrale Forschungsfrage der Studie formuliert der Autor wie folgt: „Welche Muster prägen die Verhandlungen zwischen Vertreterinnen und Vertretern von Staat und Hochschule und wie wirken sich diese auf die Erfolgsaussichten der Verhandlungen aus?“ (S 8). Damit verfolgt der Autor nichts weniger als das ambitionierte Ziel, die „methodische Lücke“ zwischen dem Anspruch auf „wissenschaftsadäquate Governance“, wie sie etwa der deutsche Wissenschaftsrat in seinen 2018 veröffentlichten Empfehlungen zur Hochschulgovernance einigermaßen abstrakt formulierte, und der konkreten Umsetzung in die Praxis der einzelnen Verhandlungen zwischen Staat und Hochschule wenn nicht zu schließen, so doch zu verringern (vgl jeweils S 187). Als theoretischer Hintergrund fungiert das Paradigma des New Public Management bzw des Neuen Steuerungsmodells, das seit den 1980er Jahren den Diskurs über die Verwaltungsmodernisierung in den westlichen Ländern dominiert, und insbesondere in der Form von vertragsförmigen Vereinbarungen die Hochschulsteuerung seit dem Ende der 1990er Jahre nachhaltig verändert und reformiert hat (Stichwort Kontraktmanagement, Ziel- und Leistungsvereinbarungen). Die Nachzeichnung der verschiedenen Konzepte und Modelle der Hochschulsteuerung mittels vertragsförmigen Vereinbarungen durch den Autor empfiehlt sich als fundierter Überblick und Einführung in die Theorie der Hochschulsteuerung mithilfe von Ziel- und Leistungsvereinbarungen der vergangenen rund dreißig Jahre – dabei werden der Prinzipal-Agent-Ansatz ebenso vorgestellt wie die systemtheoretische Sichtweise, der Governance-Ansatz und schließlich – der fachlichen Kompetenz des Autors entsprechend eher überblicksartig gehalten – auch die juristische Perspektive (vgl insbes S 13-32). Den Schwerpunkt der theoretischen Auseinandersetzung legt der Autor auf die Verhandlungen, wie sie seit den 1980er Jahren in verschiedenen staatlichen Bereichen, beginnend mit den Verhandlungsprozessen zwischen Staat und Gewerkschaften, erforscht wurden und im Hochschulbereich schließlich zum Governance-Modell verdichtet wurden, dem – in den Worten des Autors – „gegenwärtig wichtigsten theoretischen Konzept der Hochschulsteuerung“ (S 32). Hier gilt das besondere theoretische Augenmerk des Autors den Verhandlungsformen, wobei er die verschiedenen Denkansätze von Niklas Luhmann (Stichwort Konditional- vs Zweckprogrammierung), Jürgen Habermas (Stichwort Rationalität der Verhandlungen) und im Blick auf das für den Verhandlungserfolg unverzichtbare Momentum des Vertrauens die Überlegungen insbesondere von Margit Osterloh und Uwe Schimank präsentiert (S 32-51). Den größten Stellenwert in der theoretischen Fundierung der Arbeit nimmt schließlich die Analyse der Theorie des Kooperativen Staates basierend auf der Forschung des Verwaltungsforschers und Politikwissenschafter Arthur Benz ein, der eine Typologie von Verhandlungsformen und Inhalten entwickelt hat (vgl insbes Benz, Kooperative Verwaltung. Funktionen, Voraussetzungen und Folgen [1994]), die der Autor in weiterer Folge auf die Verhandlungen zwischen Staat und Hochschule überträgt. Darin sowie in der daraus folgenden Analyse und Interpretation der Ergebnisse liegt der bemerkenswerte intellektuelle Beitrag dieser Studie zur möglichen Weiterentwicklung und Optimierung des Instruments der Leistungsvereinbarungen sowie zu einem besseren Verständnis des Verhältnisses von Staat und Hochschulen im Kontext der Hochschulgovernance.
Benz unterscheidet in seiner Theorie drei mögliche Verhandlungsmodi zur Beschreibung der Art der Kooperation zwischen staatlichen und privaten Akteuren und untersucht die jeweiligen Verhandlungsgegenstände, um auf diese Weise die gegenseitige Wirkung von Steuerungsverfahren und Steuerungsgegenständen im Hinblick auf die Optimierung von Steuerungslösungen zu identifizieren. Ausgangspunkt der Überlegungen ist das Modell der Kooperation, worunter von Benz ein „Modus von sozialer Interaktion zwischen gleichberechtigten Akteuren verstanden [wird], die im Wege des direkten Austausches von Forderungen, Angeboten und Argumenten eine gemeinsame Entscheidung anstreben“ (S 53 mit Verweis auf Benz, Verhandlungen, in Benz et al [Hrsg], Handbuch Governance [2007], S 106-118 [S 106]). Wie nun konkret verhandelt wird, lässt sich nach Benz in drei Kategorien unterscheiden: Positionsbezogene Verhandlungen werden von Verhandlungsmacht und Taktik geprägt (S 55), während kompromissorientierte Verhandlungen eine gemeinsame Lösung über die eigenen Ansprüche stellen (S 56) und verständigungsorientierte Verhandlungen quasi als Ideal und Ergebnis eines kollektiven Lernprozesses sachlich optimierte Lösungen hervorbringen (S 58).
Als wichtigste Ergebnisse der Studie von Karsten König lassen sich vor diesem Hintergrund nun die folgenden Kernaussagen zusammenfassen, wobei jedoch die Entstehungszeit der die empirische Grundlage dieser Forschungen bildenden Interviews in der Anfangszeit der Leistungsvereinbarungen in Deutschland (2004/2005) nicht aus dem Bewusstsein gleiten sollte: Als ersten zentralen Befund hält der Autor fest, dass positionsbezogene hierarchische Strukturen weiterhin die Beziehung zwischen Staat und Hochschule prägten, was von den Hochschulen regelmäßig als demotivierend kritisiert wurde (S 161 f). Die Einführung von Vereinbarungen als Steuerungsinstrument führte damit nicht quasi automatisch zu Verhandlungen auf Augenhöhe (S 186). Dennoch ließen sich aus den Interviews auch Anzeichen für eine Kompromiss- und Verständigungsorientierung in der Verhandlungsbeziehung zwischen Staat und Hochschule ableiten. Der Autor beziffert diesen Anteil in einer Gesamtbewertung mit 52% aller Aussagen, wobei häufig das partnerschaftliche Verhältnis zwischen den Verhandlungsparteien betont wurde (S 164 f). Mit Bezug auf die Verhandlungsgegenstände, die Benz in seiner Theorie in die vier verschiedenen Gruppen von Ordnungs-, Verteilungs-, Produktions- und Entwicklungsaufgaben unterteilt, und dabei annimmt, dass die unterschiedlichen Aufgaben auch mit unterschiedlichen Verhandlungsmodi bearbeitet werden sollten (S 165), hält der Autor fest, dass in den Verhandlungen Gegenstände aller vier Kategorien sehr unterschiedlich bearbeitet wurden (S 168).
Als wichtigste Empfehlungen leitet Karsten König daraus folgende Ideen für eine Weiterentwicklung des Instruments der Leistungsvereinbarungen ab: Die Hochschulsteuerung könnte die bereits bestehende Differenzierung zwischen verschiedenen Steuerungsinstrumenten für unterschiedliche Steuerungsgegenstände noch weiter ausdifferenzieren (S 169) und damit Ziel- und Leistungsvereinbarungen vorwiegend über jene Themen führen, die für eine Kompromiss- und Verständigungsorientierung gut geeignet sind. Dazu zählen etwa Produktions- und Entwicklungsaufgaben, die im Hochschulkontext mit Themen in Lehre, Forschung sowie Profilentwicklung und Entwicklung des Gesamtsystems assoziiert werden können. Weniger geeignet erscheinen Gegenstände der Ordnungs- und Verteilungsaufgaben knapper Ressourcen. Jedoch könnte es auch in diesen Bereichen gelingen, konfliktbehaftete Themen im Bereich der Verteilungsaufgaben in Entwicklungsaufgaben zu transformieren und auf diese Weise in einer verständnisorientierten Verhandlungsform zu bewältigen (S 171). Abschließend leitet der Autor drei methodische Schritte ab, die ganz praktisch die Verständigungsorientierung von Verhandlungen fördern können: Dazu zählen eine umfassende fachliche Information der VerhandlungsakteurInnen über die Inhalte der Verhandlungen im Vorfeld, mit dem Ziel einer Versachlichung der Diskussion im Sinne einer Förderung der Sachorientierung bei gleichzeitiger Reduktion politischer Prozesse in Mehrebenenverflechtungen, und schließlich die Entwicklung von Verfahrensschritten, die eine gegenseitige Perspektivübernahme und fachliche Fundierung fördern. Der Autor regt an, die für verständigungsorientierte Verhandlungen erforderlichen Kompetenzen auch institutionell zu verankern und zu trainieren (S 176).
Aus der den Band abschließenden theoretischen Diskussion der Verhandlungsmodi, die eine aufmerksame Lektüre jedenfalls lohnt, sollen pars pro toto nur folgende Impulse herausgegriffen werden: Der Autor betont den ebenfalls in der Analyse der Interviews hervorgekommenen Umstand, dass die Verhandlungen in teilweise durch die Hochschulgesetze vorgegebene Mehrebenenverflechtungen eingebunden sind, die in Form vielfältiger, auch informeller, Verknüpfungen die Verhandlungen begleiten. Dabei spielen insbesondere auch die rechtzeitige Einbindung der universitätsinternen Gremien sowie die Anzahl der AkteurInnen für die Akzeptanz der gefundenen Lösungen eine wichtige Rolle. Die Einbeziehung des akademischen Sachverstands in die Lösung von Entwicklungsaufgaben passiert darüber hinaus aber nach Ansicht des Autors auch über wettbewerbliche Strukturen wie etwa Exzellenzinitiativen, wodurch sie sich vom Gedanken einer vereinbarungsbasierten Hochschulsteuerung entferne (S 183). Das unterstreicht mE die inzwischen entwickelte Ausdifferenzierung der Instrumente der Hochschulsteuerung im Gesamtkontext, wobei Ziel- und Leistungsvereinbarungen neben anderen Steuerungsinstrumenten stehen.
Insgesamt gelingt dem Autor durch die vorliegende Studie auf einem Kerngebiet der Hochschulforschung ein höchst wertvoller Beitrag zur empirischen Durchdringung und Weiterentwicklung der Ziel- und Leistungsvereinbarungen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. Als besondere Stärken der Studie können neben der eigenen Analyseleistung auf der Basis des anhand der Theorie des Kooperativen Staates entwickelten Analyserasters, der auch für die Durchleuchtung zukünftiger Entwicklungen dienen könnte, die der Analyse vorgeschaltete fundierte Aufarbeitung der Theorie, insbesondere der Überblick über den wissenschaftlichen Diskurs zur Hochschulsteuerung, genannt werden, die eine auch durch die leicht lesbare Sprache gut verständliche Einordnung in die theoretische Rahmung des Phänomens erlaubt. Der Wermutstropfen der länger zurückliegenden Interviews als Forschungsbasis wird vom Autor durch profunde Analyse und die Einarbeitung aktueller Entwicklungen und Literatur kompensiert und durch das Aufzeigen konkreter Perspektiven für die weitere Forschung fruchtbar gemacht. Die Lektüre dieses Werks ist daher auch für an der Weiterentwicklung der österreichischen Leistungsvereinbarungen und Hochschulgovernance Interessierte sehr zu empfehlen.
(Hedwig Unger)